Technologisch revolutionierte Übersetzungsdienstleistungen oder Übersetzungen auf Abruf – gibt es hierfür überhaupt eine Zukunft?
von Konstantin Josseliani
In unserem täglichen Leben begegnen wir ständig technologischen Revolutionen. Manche Menschen nutzen Uber um von einem Ort zum nächsten zu kommen, andere nutzen ähnliche Plattformen, um professionelle Dienstleister wie z. B. Privatlehrer zu finden. Manche glauben, dass durch solche Plattformen die Logistikkette verkürzt werden kann und dadurch die Konsumenten in direktem Kontakt mit den Dienstleistern stehen. Das hört sich zunächst super an, denn der Konsument erhält die gewünschte Dienstleistung ohne Zwischenhändler, was den gesamten Prozess schneller und günstiger macht.
Aber sind die Plattformen wirklich so perfekt, wie die Entwickler uns glauben machen wollen? Waren Sie schon einmal in der Situation, dass Ihr Uber-Fahrer den Weg nicht kannte, in einem völlig verdreckten Fahrzeug ankam oder ziemlich unfreundlich war? Oh ja… solchen Situationen begegnen wir oft. Hierbei ist es wichtig Folgendes zu wissen: Wenn wir Dienstleistungen direkt von einem Fahrer oder einem anderen Dienstleister beziehen, findet die Interaktion direkt mit dem Anbieter statt. Das heißt, dass auch die Qualität ausschließlich in den Händen des Anbieters liegt. In anderen Worten: Wir tragen das volle Risiko.
Diese Entwicklung geht auch an der Übersetzungsindustrie nicht vorbei. Verschiedene Plattformen ermöglichen Kunden den direkten Kontakt zu Übersetzern, ohne den Weg über einen Sprachdienstleister. Auf diesen Plattformen werden Sprachdienstleister als „Mittelsmänner“ bezeichnet, was darauf schließen lässt, dass diese keinen zusätzlichen Wert haben, sondern lediglich eine unnötige Barriere zwischen Dienstleister und Konsument bilden.
Besonders für unerfahrene Kunden erscheint dieses Konzept zunächst sehr ansprechend, denn sie sparen sich dadurch die Kosten für einen Sprachdienstleister und können den gesamten Übersetzungsprozess beschleunigen, da sie in direktem Kontakt mit den Übersetzern stehen.
Allerdings wird auf diesen Plattformen nicht auf die Risiken hingewiesen, die dieses Geschäftsmodell sowohl für Übersetzer als auch für Kunden birgt.
Lassen Sie uns diesen Risiken und den Konsequenzen einer direkten Zusammenarbeit zwischen Kunde und Übersetzer auf den Grund gehen.
Die Auswahl der richtigen Fachkräfte, das Projektmanagement und die Qualitätssicherung stellen für Kunden die größten Risiken dar.
Unerfahrene Kunden stellen sich den Übersetzungsprozess oft wie folgt vor: Der Kunde sendet ein Übersetzungsprojekt an den Sprachdienstleister. Der Sprachdienstleister leitet das Projekt einfach an den Übersetzer weiter und sendet danach die fertige Übersetzung zurück an den Kunden. Klingt doch einfach, oder?
Ist es aber natürlich nicht. In Wahrheit erfüllen Sprachdienstleister eine ganze Reihe sehr wichtiger Funktionen:
- Auswahl und Testen der Vendoren
Auf Übersetzungsplattformen, die nach dem Uber-Prinzip arbeiten, scheinen alle Vendoren hochqualifizierte Fachkräfte zu sein, die nicht nur Kenntnisse in fast allen Fachbereichen, sondern auch Erfahrung mit quasi allen Übersetzungstools mitbringen. Die Realität sieht oft jedoch anders aus, da sich viele Vendoren selbst gewaltig überschätzen. Den Kunden wird das oft erst bewusst, wenn das Projekt schon gestartet ist. Zum Beispiel, wenn der Übersetzer plötzlich nicht mit der gewünschten Software arbeiten kann oder die branchenspezifische Terminologie nicht kennt – oder schlichtweg eine nicht zufriedenstellende Übersetzung liefert.
Sprachdienstleister haben spezielle Abteilungen für Vendor Management. In diesen Abteilungen werden Informationen zu Übersetzern gesammelt, Übersetzer getestet und auf die Arbeit an den Projekten vorbereitet. Zudem werden die Übersetzer von den Vendor Managern auf Basis des Fachbereichs ausgewählt, um sicherzustellen, dass die Qualität am Ende auch wirklich passt.
- Projektmanagement
Eine weitere Funktion, die der Sprachdienstleister übernimmt. Bei jedem Projekt verteilt der zuständige Projektmanager die Arbeit auf mehrere Übersetzer, abhängig von Gesamtumfang und Liefertermin. Den Projektfortschritt behält der Projektmanager dabei stets im Blick. Die Arbeit des Projektmanagers wird komplexer, sobald ein Projekt, neben dem Übersetzen, noch weitere Schritte beinhaltet, wie z. B. Engineering, DTP, etc. Selbst, wenn einzelne Vendoren nicht rechtzeitig liefern, stellt der Projektmanager sicher, dass die Lieferung an den Kunden pünktlich erfolgt.
- Qualitätskontrolle
Hierbei handelt es sich um eine der wichtigsten Funktionen, die Sprachdienstleister erfüllen, um sicherzustellen, dass der Kunde ein qualitativ hochwertiges Endergebnis erhält. Im Rahmen der Qualitätskontrolle wird eine Reihe von Aufgaben durchgeführt, von der Auswahl der Vendoren und der Bereitstellung von Schulungs- oder Referenzmaterial, bis hin zum Lektorat und der abschließenden Qualitätsprüfung.
- Risikomanagement
Bei einer direkten Zusammenarbeit zwischen Kunde und Dienstleister, trägt der Kunde das volle Risiko. Was passiert zum Beispiel, wenn der Übersetzer plötzlich krank wird, kurzfristig verreist oder schlichtweg zu spät liefert? Sprachdienstleister hingegen können gewährleisten, dass der Kunde die Lieferung selbst dann pünktlich erhält, wenn ein Vendor nicht pünktlich liefert, und zwar indem das Projekt kurzfristig einem anderen Vendor zugewiesen wird.
Dies sind nur ein paar wenige der Funktionen, die Sprachdienstleister erfüllen und die von Plattformen, die nach dem Uber-Prinzip arbeiten und Befürwortern dieses Prinzips oftmals gerne „vergessen“ werden. Werden diese Funktionen nicht von einem Sprachdienstleister übernommen, trägt der Kunde hierfür die Verantwortung. Das führt dann auf Kundenseite zu zusätzlichen administrativen Kosten und anderen Ausgaben, und stellt ein Risiko für das gesamte Projekt dar.
Nachdem wir nun die Funktionen erläutert haben, die der Sprachdienstleister für den Kunden übernimmt, schauen wir uns doch die Beziehung zwischen Sprachdienstleister und Vendor (wie z. B. dem Übersetzer) einmal genauer an.
Sprachdienstleister und Übersetzer stehen nicht in direkter Konkurrenz zueinander. Es handelt sich hierbei also nicht um „feindliche Lager“. Vielmehr besteht zwischen den beiden Parteien eine Partnerschaft, in der sie sich bei der gemeinsamen Arbeit für einen Kunden gegenseitig ergänzen.
Von welchen Funktionen, die Sprachdienstleister erfüllen, profitieren eigentlich die Übersetzer?
- Werben von Kunden
Sprachdienstleister übernehmen die volle Verantwortung für Marketing- und Verkaufsstrategien, um neue Kunden zu werben Einen neuen Kunden an Bord zu holen, ist ein langwieriger Prozess, der gut und gerne auch mal mehrere Monate in Anspruch nehmen kann und mit erheblichen Ausgaben für Marketing und Sales verbunden ist.
- Projektmanagement
Heutzutage besteht ein „Standard-Übersetzungsprojekt“ aus mehr als nur einem simplen Text, der übersetzt werden soll. Oftmals geht es um verschiedene Dateien, für deren Bearbeitung das Fachwissen von mehreren Spezialisten benötigt wird: z. B. Engineers, DTP-Spezialisten, Lektoren, Korrekturleser und Projektmanager. Projektmanager halten dabei stets die Fäden in der Hand und organisieren das Zusammenspiel der verschiedenen Dienstleister, um eine effektive Teamarbeit zu garantieren.
- Kundenmanagement
Zum Kundenmanagement zählen verschiedene wichtige Aufgaben, die leider oft unterschätzt werden. Sprachdienstleister übernehmen die komplette Kommunikation mit dem Kunden oder dessen Vertreter – oft handelt es sich hierbei um gleich mehrere Personen. Der Sprachdienstleister stimmt gemeinsam mit dem Kunden dessen Erwartungen und Anforderungen ab, klärt technische Einzelheiten und Liefertermine und teilt dem Team all diese Informationen in Kurzform mit.
- Administrative Einzelheiten
Selbst wenn ein Kunde einmal nicht bezahlt, garantiert der Sprachdienstleister dem Übersetzer die Bezahlung für seine geleistete Arbeit, gemäß der zwischen Übersetzer und Sprachdienstleister getroffenen Vereinbarung.
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Sprachdienstleister eine ganze Reihe verschiedener Aufgaben übernehmen, die für Vendoren nicht nur von größter Bedeutung sind, sondern die sie in direkter Zusammenarbeit mit dem Kunden auch noch selbst übernehmen müssten – und dabei das alleinige Risiko tragen würden.
Das Uber-Prinzip dient mit Übersetzungen auf Abruf und einer vereinfachten Projektabwicklung als hochautomatisierte Alternative.
Wäre es also richtig zu sagen, dass das Uber-Prinzip für die Anwendung in der Übersetzungsbranche nicht geeignet ist? Nein, und hier erklären wir warum: Einige Unternehmen haben sich dieses Prinzip zu nutzen gemacht und entsprechend abgewandelt, indem sie Dienstleistungen auf Abruf anbieten, die „zweckmäßige“ Übersetzungsservices zu niedrigen Preisen versprechen.
Wie genau funktioniert dieses Geschäftsmodell? Grundvoraussetzung für dieses Modell ist die maximale Automatisierung aller Übersetzungsprozesse. Der Kunde erstellt über ein Portal seine Anfrage und erhält ein automatisch generiertes Angebot. Nach dem Zahlungseingang wird das Projekt an das zuständige Projektteam weitergeleitet, und zwar ohne weitgreifende Unterstützung durch den Projektmanager und ohne große Abweichungen vom vorab definierten Algorithmus. Zudem können Schritte wie Lektorat oder DTP auch ausgelassen werden, um Projekte noch schneller und kostengünstiger abzuwickeln.
Dieser Ansatz birgt natürlich auch gewisse Risiken und eignet sich nicht für alle Textsorten. Mit einem jährlichen Anstieg von 30 % zeigt sich jedoch, wie populär dieses Geschäftsmodell unter den Kunden ist.
Die größten Schwierigkeiten zwischen Kunde und Dienstleister finden sich oft in der Abstimmung des Qualitätslevels und der Auswahl des Contents, aber auch in der Automatisierung und der direkten Verfügbarkeit einer funktionierenden Infrastruktur auf Seiten des Dienstleisters.
Kurz gesagt: Moderne Sprachdienstleister sollten ihren Kunden verschiedene Geschäftsmodelle anbieten können, um die unterschiedlichen Anforderungen der Kunden erfüllen zu können. Zudem sollten sie die volle Kontrolle über den Produktionsprozess behalten und sich dessen bewusst sein, dass es so etwas wie eine einheitliche Lösung für alle Kunden, in Anbetracht deren unterschiedlichen Anforderungen als Verbraucher, einfach nicht gibt.
Letzten Endes liegt die Entscheidung allein beim Kunden. Der Sprachdienstleister sollte dem Kunden beratend zur Seite stehen und die eigenen Prozesse und Technologien den Anforderungen der Kunden anpassen.