Menschliche Übersetzung: schon bald ein Luxusgut
von Konstantin Josseliani
Ein modernes Übersetzungsbüro ist heutzutage eher ein Technologie- oder Produktionsunternehmen als ein klassisches Linguisten-Team. Janus Worldwide hat eine interne Engineering-Abteilung, ein eigenes ERP-System, ein Qualitätsmanagementsystem sowie eine Reihe von technischen Lösungen, z. B. die von uns entwickelte Global Technology Platform (GTP) zur Auftragsannahme und Projektverwaltung. Zudem setzen wir – wie alle führenden Übersetzungsdienstleister – aktiv Software zur Erstellung von Translation Memories sowie professionelle maschinelle Übersetzungssysteme mit anschließender Nachbearbeitung ein. Viele glauben, dass die Technologien der Zukunft früher oder später zum Aussterben unserer Branche führen werden. Bisher erleben wir allerdings das genaue Gegenteil, denn der professionelle Einsatz dieser Technologien macht uns nicht nur wettbewerbsfähiger, sondern ermöglicht uns auch das Übersetzen sehr umfangreicher Inhalte.
Die Übersetzungsbranche in unserem Land ist extrem zersplittert. Tausende von kleinen Unternehmen sind auf dem Markt tätig. Das russische Portal „Translation Rating“ schätzt den Gesamtumsatz russischer Übersetzungsunternehmen auf 17 Mrd. Rubel. Letztes Jahr erzielte Janus Worldwide Platz 45 in der Common-Sense-Advisory-Rangliste der 100 größten Sprachdienstleister weltweit. Ein weiteres russisches Unternehmen – ABBYY LS – wurde auf Platz 50 eingestuft. Wir erzielen etwa 85 % unseres Gewinns mit internationalen Kunden. Allein in diesem Jahr werden wir im Vergleich zu 2016 voraussichtlich um 20-25 % wachsen. Unser Ziel ist es, einer der 30 größten Übersetzungsdienstleister der Welt zu werden und ich hoffe, dass die Technologie uns dabei helfen wird.
Technische Aufgabenstellung
Im Jahr 1994 habe ich mein Studium am Maurice-Thorez-Institut für Fremdsprachen abgeschlossen. Meine erste Fremdsprache ist Deutsch, meine zweite Englisch. Gleich nach dem Abschluss erhielt ich eine Anstellung bei SAP, einem damals noch jungen Unternehmen, das auf dem russischen Markt gerade erst Fuß fassen wollte. SAP hatte daher Bedarf, die eigene Software und technische Dokumentation ins Russische lokalisieren zu lassen. Softwarelokalisierung hat ihre Eigenheiten. Der Benutzer sieht die Befehle und Systemmeldungen auf dem Bildschirm ohne Kontext. Schon damals setzte SAP aktiv computergestützte Übersetzungstechnologien ein. Zum Beispiel ein Translation Memory, das eine Art Archiv für Übersetzungen ist.
Wenn die Maschine bereits übersetzte Textelemente abgleicht und automatisch in nachfolgende Dokumente übernimmt, beschleunigt dies den Prozess erheblich.
Zwei Jahre später war ich Leiter der Lokalisierungsabteilung mit einem Team von zehn Mitarbeitern. Aber ich wollte etwas Neues ausprobieren. Zum Beispiel mein eigenes Unternehmen gründen, um Dienstleistungen für IT-Unternehmen anzubieten. Diese Nische war damals praktisch nicht besetzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits mein Studium im Bereich Global Economics an der Finanzakademie der Regierung der Russischen Föderation abgeschlossen und gründete dann gemeinsam mit einem Schulfreund Janus. Wir arbeiteten im Premiumsegment des Marktes – für die großen Unternehmen des Westens. Natürlich wurde SAP unser erster Kunde. Dann kamen HP, Cisco, Canon, Epson, ZyXEL und andere Firmen hinzu. Mundpropaganda tat ihr übriges und Janus wuchs innerhalb eines Jahres auf 15 Mitarbeiter an. Drei oder vier Jahre später beschlossen wir, unseren Geschäftsbereich zu vergrößern und neue Richtungen einzuschlagen.
Wir starteten mit ausländischen Organisationen, die keine Niederlassungen in Russland hatten, aber ihre Waren und Dienstleistungen auf dem russischen Markt verkaufen wollten. Die meisten von ihnen waren IT-Unternehmen oder Hersteller von technisch komplexen Erzeugnissen wie Anlagen und Kraftfahrzeuge. Zudem konzentrierten wir uns auf russische Unternehmen und begannen die Zusammenarbeit mit der Russischen Eisenbahn, Siemens, ABB und anderen Großkunden. Hier stieß Janus zum ersten Mal auf starke Konkurrenz.
Neue Niederlassungen
Um uns von der Konkurrenz abzuheben, boten wir unseren Kunden nicht nur Übersetzungen ins Russische, sondern auch in die so genannten GUS-Sprachen, insbesondere in die gefragten Sprachen Ukrainisch und Kasachisch, an. Wir waren der erste Sprachdienstleister, der Büros in Kiew und Almaty eröffnete. Es war eine große Investition, denn wir stellten zunächst Übersetzer, Lektoren und Projektmanager ein, schulten sie entsprechend und begannen erst danach mit der Suche nach Kunden.
Dadurch verschafften wir uns direkt einen Vorsprung zu unseren Mitbewerbern. Zunächst galten wir als Single-Language-Vendor (SLV), d. h. als ein Unternehmen, das Übersetzungsdienstleistungen in nur eine Sprache anbietet. Nach der Eröffnung unserer weiteren Büros, wurden wir jedoch zum Regional-Language-Vendor (RLV) – ein Sprachdienstleister, der Services in die Sprachen einer bestimmten Region anbietet.
Für den Kunden ist es wesentlich komfortabler, Übersetzungen bei der gleichen Firma in Auftrag zu geben, als nach Dienstleistern in den jeweiligen Zielländern zu suchen.
Nach den GUS-Ländern eröffneten wir weitere Büros in Russland. In der Übersetzungsbranche machen die Lohn- und Gehaltskosten etwa 30 % der Ausgaben aus. Die Eröffnung von Büros in bestimmten Regionen kann daher erheblich dabei helfen, Geld zu sparen. Für die Standorte unserer Niederlassungen wählten wir Städte mit Universitäten, die eine gute sprachliche Ausbildung anbieten. Wir entschieden uns zunächst für Nishnij Nowgorod, dann St. Petersburg und Tomsk. Heute arbeiten in jedem unserer regionalen Büros 50-100 Angestellte.
Trotz der Kostensenkungen war es zunächst schwierig, weiter zu wachsen. Die großen Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiteten, folgten spezifischen Unternehmensgrundsätzen und konnten nicht alle ihre Aufträge an einen einzigen Dienstleister vergeben. Wir hatten bereits einen beträchtlichen Teil des Marktes für technische und IT-Übersetzungen besetzt und eine weitere Expansion in Russland hätte zu viel Aufwand erfordert. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir unsere Grenze erreicht und sahen nur noch die Möglichkeit, in den globalen Markt einzutreten und ein Multi-Language-Vendor (MLV) zu werden, d. h. ein Sprachdienstleister, der Unternehmen mit Übersetzungen in alle Sprachen versorgt. Im Jahr 2012 entwickelten wir eine Globalisierungsstrategie. Die verschiedenen Zeitzonen stellten dabei die größte Herausforderung dar. Ein Dienstleister, der mit internationalen Konzernen zusammenarbeitet, muss zu jeder Tages- und Nachtzeit Aufträge annehmen können. Wenn beispielsweise ein Unternehmen mit Sitz in den USA die Übersetzung eines Dokuments aus dem Englischen in sieben Sprachen benötigt, sollte ein Projektmanager sofort reagieren können und nicht erst in sechs bis sieben Stunden.
Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, nach dem „Follow-the-Sun“-Prinzip zu arbeiten und Büros in verschiedenen Ländern zu eröffnen, um immer erreichbar zu sein. Innerhalb weniger Jahre gründeten wir Niederlassungen in Deutschland, Großbritannien, den USA, China und Tschechien und bald werden wir auch ein Büro in Argentinien eröffnen. Jede Niederlassung im Ausland hat eine individuelle Amortisationsdauer, aber im Durchschnitt beträgt diese 18 Monate. Wir bekommen Anfragen zu jeder Uhrzeit, egal wie spät es ist. Für einige Firmen übersetzen wir regelmäßig Texte in 60 Sprachen.
In letzter Zeit sind die Aufträge kleiner geworden, aber es kommen immer mehr, und fast alle sind Eilprojekte. Früher erhielten die Übersetzer buchstäblich einen ganzen Aktenschrank mit zu übersetzenden Dokumenten, aber jetzt haben wir es mit viel kleineren Umfängen zu tun. Ich glaube, das liegt daran, dass IT-Unternehmen agile Technologien einsetzen, weshalb nur noch kleine Änderungen anfallen.
Auch unsere Mitarbeiter mussten sich darauf einstellen. Wir beschäftigen rund 300 Mitarbeiter, davon 90 in Moskau. Vor einigen Jahren haben wir ein flexibles Motivationssystem entwickelt. Neben dem Gehalt erhalten Mitarbeiter Prämien für hervorragende Leistungen und Qualität. Die Berechnung der Boni ist ziemlich komplex, aber jeder Mitarbeiter kann seine Indikatoren im eigenen Profil einsehen. Durch dieses Motivationssystem konnten wir die Mitarbeiterfluktuation deutlich reduzieren. Die Mitarbeiter haben erkannt, dass sie mehr Geld verdienen können, wenn sie sich mehr anstrengen. Neben unseren Vollzeitmitarbeitern beschäftigen wir ca. 3000 Freiberufler in verschiedenen Ländern. Die Zuständigkeit hierfür liegt bei den Mitarbeitern unseres Resource Managements. Sie sind dafür verantwortlich, neue Freiberufler zu finden, sie zu testen und zu schulen und mit ihnen die Bedingungen für die angebotenen Dienstleistungen abzustimmen.
Engineering Design
Der Markt wird von großen Unternehmen wie Lionbridge und TransPerfect angeführt, die jeweils etwa 10 % des globalen Übersetzungsmarktes ausmachen. Mit diesen Unternehmen können wir nur mit Hilfe von Technologien konkurrieren, weshalb das Übersetzungsgeschäft und das IT-Geschäft immer mehr zusammenwachsen.
Zuerst einmal benötigt ein Unternehmen für die Lokalisierung von Software technische Kenntnisse. Anwendungen müssen getestet werden, um sicherzustellen, dass sie beim Empfang von Befehlen in anderen Sprachen einwandfrei funktionieren. Zweitens: Translation-Memory-Systeme sind ein Muss.
Drittens haben viele Unternehmen kürzlich begonnen, maschinelle Übersetzungen zu verwenden. Um eines vorweg zu nehmen: damit meine ich nicht Google Translate. Ich spreche von professionellen Systemen, die ausschließlich in unserer Branche eingesetzt werden. Asia Online, Systran und Microsoft haben zum Beispiel auch ähnliche Software. Heute sind maschinelle Übersetzungssysteme extrem spezialisiert. Sie sind ausschließlich für technische Texte in einer speziellen Sprache konzipiert. Das ist die sogenannte kontrollierte Sprache, in der Sätze mit einer grundlegenden Struktur formuliert werden, die einfach genug ist, um zum Beispiel von einem Vorschulkind verstanden zu werden. Die Maschine wird mit der Terminologie eines bestimmten Fachbereichs gefüttert. Sie liefert eine Übersetzung, die dann von einem Menschen korrigiert und wieder in die Maschine geladen wird. Im Gegensatz zu einem Menschen macht die Maschine keine sachlichen Fehler, verwechselt keine Zahlen und übersetzt die Begriffe präzise. Das „Schlimmste“, was die Maschine tun kann, ist, einen ungeschickt formulierten Satz zu erstellen. Deshalb erlebt die Branche aktuell eine zunehmende Nachfrage nach Lektoren für das Post-Editing, statt nach standardmäßigen Lektoren. Dieses Konzept ist im Westen sehr beliebt.
Der vermehrte Einsatz maschineller Übersetzung wirkt sich zwangsläufig auch auf die Preise der Übersetzungsunternehmen aus. Viele Kunden schicken uns heute Texte, die bereits maschinell vorübersetzt wurden und von uns nur noch nachbearbeitet werden sollen. Natürlich fragen die Kunden nach Rabatten für solche Dienstleistungen. Alles hängt von der jeweiligen Sprache ab. Aber in den meisten Fällen sprechen wir von Preisen, die im Vergleich zu einer menschlichen Übersetzung um 25-30 % niedriger sind. Das ist eine Tatsache, mit der wir uns einfach arrangieren müssen. Aber auch hier gibt es eine positive Seite: Dank der Software wächst die Menge der zu übersetzenden Inhalte exponentiell an. Und dank dieses Anstiegs im Umfang, wächst auch die Branche selbst. Aber letztendlich lässt sich sagen: Wenn es um Software, Dokumentation und anderes Referenzmaterial geht, haben wir den Kampf gegen die Maschine bereits verloren. Auf der anderen Seite können Maschinen immer noch keine Texte verarbeiten, die den Reichtum und die Bildhaftigkeit der Sprache wiedergeben, wie z. B. Bücher, Marketingmaterialien, Pressemitteilungen und Webseiten. Maschinen verstehen immer noch keine Ausdrücke im übertragenen Sinne. Deshalb wird die menschliche Übersetzung schon bald als Luxusdienstleistung angesehen werden.
Translation Management
Auch Übersetzungsunternehmen benötigen Technologien für das Projektmanagement. Ohne sie sind Unternehmen nicht skalierbar. Aus diesem Grund haben wir 1C ERP eingeführt und speziell an unsere Bedürfnisse angepasst, wodurch wir z. B. im Vertrieb und im Marketing alle Prozesse automatisieren konnten. Darüber hinaus haben wir unsere Global Technology Platform für die Zusammenarbeit mit Kunden und Übersetzern entwickelt. Die Plattform umfasst mehrere Module.
Das Modul „Kundenservice“ formalisiert unsere Interaktionen mit dem Kunden. Ein Auftrag kann über das Kundenkonto erteilt werden, unsere Projektmanager erhalten eine automatische Benachrichtigung, erstellen ein Angebot und sobald der Kunde es annimmt, wird die Übersetzung gestartet. Der Kunde kann danach den Status des Projekts jederzeit verfolgen. Außerdem kann er alle Statistiken über seine Zusammenarbeit mit Janus Worldwide einsehen. Er sieht, wer die Übersetzung in Auftrag gegeben hat, für welchen Betrag usw.
Das „Übersetzermodul“ ist nach dem gleichen Prinzip aufgebaut. Der Übersetzer erhält eine Projektbenachrichtigung und wenn er bereit ist, den Text zu übernehmen, bestätigt er dies über einen Link. Ähnlich zu Uber oder anderen ähnlichen Diensten, akzeptiert auch hier der Service-Anbieter die Tarife und Angebote. Der Projektmanager gewährt dem Übersetzer danach Zugriff auf den Text und nach getaner Arbeit werden die Dateien zurückgeschickt.
Janus Express haben wir entwickelt, um den Bedarf an eiligen Übersetzungen zu decken. Dafür haben wir eine Reihe von Zwischenschritten des Prozesses obsolet gemacht. Beispielsweise wird der Auftrag automatisch berechnet und an die Übersetzer gesendet, ohne dass Projektmanager involviert sind. Nur vertrauenswürdige Übersetzer, die intern bei Janus eine hohe Qualitätseinstufung genießen, dürfen Projekte von Janus Express übernehmen. Am Ende kann ein Auftrag in nur wenigen Stunden erledigt werden. Bei dieser Geschwindigkeit entfällt die Überprüfung und das Lektorat der Übersetzung und wir können auch keine Qualitätskontrolle durchführen. Aber wir nehmen dieses Risiko wissentlich in Kauf. Soweit erfahrene Mitarbeiter involviert sind, sind wir zuversichtlich, dass auch die Qualität stimmt. Für diesen Service haben wir eine große Nachfrage. Die Abwicklung erfolgt in kürzester Zeit und es ist auch klar, warum: Die menschliche Beteiligung wurde auf ein Minimum reduziert.
Janus Perfect haben wir als internes System zur Qualitätskontrolle entwickelt. Übersetzte Texte können in Janus Perfect hochgeladen werden und es wird eine detaillierte Auswertung zurückgeschickt. Die Lektoren bewerten die Übersetzungsqualität nach vorgegebenen Kriterien, z. B. semantische Richtigkeit, terminologische Genauigkeit, Formatierung usw. Dies ist ein weiterer nützlicher und gefragter Service. Schließlich möchten Kunden nicht nur schnelle Übersetzungen, sondern auch eine reibungslose und bequeme Kommunikation zu ihrem Übersetzungsdienstleister. Viele Kunden speichern ihren Content auf internen Computersystemen, wodurch beim Hin- und Her-Senden Zeit vergeudet wird. Also haben wir beschlossen, ein weiteres nützliches Feature zu entwickeln: Janus Connect. Es kann direkt an die Computersysteme des Kunden angeschlossen werden. Inhalte werden zur Übersetzung hochgeladen und dann werden die Übersetzungen wieder in das System des Kunden überspielt.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Übersetzungsgeschäft in absehbarer Zeit verschwinden wird, selbst wenn der größte Teil Russlands plötzlich Fremdsprachen erlernen würde (was unwahrscheinlich ist). Ich sehe die Existenz von Unternehmen, die technische Übersetzungen durchführen, weniger bedroht. Vielleicht lernen die Leute Englisch, um sich an alltäglichen Diskussionen beteiligen oder einem ausländischen Redner auf einer Konferenz zuhören zu können. Aber manchmal geht es z. B. um die Dokumentation von Stromkraftwerken, die von entscheidender Wichtigkeit ist, weil die Mitarbeiter schon bald anhand dieser arbeiten werden. Oder medizinisches Personal soll ein neues medizinisches Gerät benutzen. In beiden Fällen sollten dem Endnutzer die Informationen in seiner Muttersprache zur Verfügung stehen. Ich denke also, dass es auf jeden Fall noch einige Zeit lang eine Nachfrage nach unseren Dienstleistungen geben wird.