Fuchs und Igel
Konstantin Josseliani
Moderne Management-Theorien kategorisieren Unternehmen in zwei Typen. Typ 1: „Igel-Unternehmen“. Auf den ersten Blick erscheinen diese Unternehmen schwerfällig und langsam. Entscheidungsfindungen nehmen viel Zeit in Anspruch, Vor- und Nachteile werden über einen langen Zeitraum hinweg abgewogen und auch der Prozess zur Festlegung der Entwicklungsstrategie geht nur langsam vonstatten. Sobald das Unternehmen sich jedoch für eine Vorgehensweise entschieden hat, wird diese genau verfolgt.
Typ 2: „Fuchs-Unternehmen“. Wie der Name schon vermuten lässt, sind diese Unternehmen sehr dynamisch und einfallsreich. Fuchs-Unternehmen sind ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und probieren verschiedene Optionen aus, um dem Unternehmen zum Wachstum zu verhelfen. Allerdings werden Entscheidungen häufig nicht ausreichend durchdacht, was dazu führt, dass Projekte auf halber Strecke wieder aufgegeben werden, sobald sich eine vielversprechendere Option präsentiert.
Dieses Konzept auf die Übersetzungsbranche anzuwenden führt zu interessanten Ergebnissen. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass es auch in der Übersetzungsindustrie Igel- und Fuchs-Unternehmen gibt. Es gibt Sprachdienstleister, die sich schon vor langer Zeit für einen bestimmten Weg entschieden haben (z. B. für einen bestimmten Fachbereich wie Gesundheitswesen oder IT, oder für bestimmte Dienstleistungen wie die Lokalisierung von Software oder Videospielen), und von diesem Weg nie abkommen. Ganz egal, wie sich das Umfeld verändert. Diese Unternehmen erscheinen auf den ersten Blick zwar langsam, aber sobald sie die benötigte Geschwindigkeit erreicht haben, verzeichnen sie in der Regel ein Wachstum, das über dem Industriedurchschnitt liegt. Sie fangen also langsam an, aber wachsen schnell.
Es gibt aber auch viele Fuchs-Unternehmen – oft bezeichnet als Generalisten. Diese Unternehmen machen alles und nichts. Sie beschränken sich nicht auf eine Industrie oder eine Dienstleistung. Fuchs-Unternehmen wirken auf Kunden oft nichtssagend, denn sie haben keine Alleinstellungsmerkmale. Nicht selten erleben wir Situationen, in denen Fuchs-Unternehmen vom Regen in die Traufe kommen. In den letzten Monaten hat beispielsweise der Bedarf an Video-Ferndolmetschen stark zugenommen, also nahmen die Unternehmen diese Dienstleistung direkt mit auf. Aber auch der Bedarf an Übersetzungen aus den Bereichen Pharmazie und Medizin hat stark zugenommen, worauf die Fuchs-Unternehmen direkt eingestiegen sind und von heute auf morgen Medizin-Übersetzungen in ihr Leistungsangebot mit aufgenommen haben. Kann so ein Ansatz wirklich zum Erfolg führen? Ganz allgemein gesprochen: Nicht wirklich. Um eine neue Dienstleistung erfolgreich anbieten zu können, ist eine ausgiebige Planung erforderlich. Über Jahre hinweg muss die nötige Infrastruktur aufgebaut und ein Team zusammengestellt werden.
Wie können sich Sprachdienstleister strategisch auf die eigenen Stärken konzentrieren und zum Igel-Unternehmen werden?
Zunächst sollten Sie sich Ihren Tätigkeitsbereich genau ansehen und Ihre Stärken identifizieren. Was bereitet Ihnen Freude? In welchen Bereichen heben Sie sich von Ihrer Konkurrenz ab? Diese Frage lässt sich auf verschiedene Art und Weise beantworten. Manche Unternehmen konzentrieren sich auf bestimmte Industrien oder Dienstleistungen. Es gibt zum Beispiel bekannte Sprachdienstleister, die sich auf ein oder zwei Fachbereiche wie Gaming, Gesundheitswesen, IT etc. oder eine bestimmte Dienstleistung wie z. B. Dolmetschen spezialisieren. Dabei ist es wichtig, sich nicht auf zu viele Bereiche zu konzentrieren. Ich bin der Ansicht, dass drei bis vier Bereiche ideal sind. Wenn Sie sich auf zu viel gleichzeitig konzentrieren, verliert das Unternehmen seinen Fokus. Bei Janus Worldwide konzentrieren wir uns auf vier Fachbereiche: IT, Gesundheitswesen, Technologie und digitales Marketing/E-Learning.
Ein wichtige Frage, die Sie sich auf Ihrem Weg zum Igel-Unternehmen stellen sollten, ist, ob Ihre Mitarbeiter Freude an der Arbeit haben werden. Die Zufriedenheit im Job ist ein wichtiger Teil dieser Strategie. Es ist gänzlich unmöglich in einem Bereich besser zu sein als die Konkurrenz, wenn die Mitarbeiter ihren Job nicht gerne machen. Daher ist es wichtig, ein Team zusammenzustellen und ein Motivationssystem einzuführen. Dabei sollten Sie sich jedoch auch andere Anreize überlegen als ausschließlich Geld.
Zudem sollten Sie ein gewinnbringendes Geschäftsmodell auf die Beine stellen. Sie können der/die Beste Ihres Bereichs sein und viel Freude an Ihrem Job haben, aber wenn Sie mit Ihrer Arbeit keinen Umsatz machen, dann ist es nur ein Hobby. Sobald Sie sich für einen Bereich entschieden haben, in dem Sie Ihren Konkurrenten einen Schritt voraus sein werden und der Ihnen Freude im Alltag bereitet, müssen Sie ein Geschäftsmodell entwickeln, das Ihnen Einnahmen bringt.
Sie können nicht über Nacht zum Igel-Unternehmen werden. Die Entwicklung dauert Monate oder sogar Jahre. Aber sobald Ihr Konzept steht, Sie Ihr Team zusammengestellt haben, das das Konzept erfolgreich umsetzen wird, und Sie Ihr Motivationssystem eingeführt haben, erwartet Sie ein Unternehmenswachstum, das weit über dem Marktdurchschnitt liegt. Ich möchte an dieser Stelle keine Namen nennen, aber ich bin mir sicher, dass jeder von uns einige Unternehmen aus der Übersetzungsbranche kennt, die genau das erreicht haben.
Zu guter Letzt steht am Ende jeder Unternehmensentwicklung das Definieren der Unternehmensstrategie. Möchten Sie Spezialist oder Generalist sein? Igel oder Fuchs? Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass der langfristige Erfolg Ihres Unternehmens davon abhängt, welche Entscheidung Sie treffen. Also überstürzen Sie nichts, sondern lassen Sie sich Zeit.